Komponieren mit Corelli
(Francesco Gasparini, L‘armonico pratico al cimbalo, Venedig 17081)
Der erste Eindruck beim Hören und Lesen des abgebildeten Grave aus einer der Triosonaten Op. 1 von Arcangelo Corelli kann für einen Tonsatz-Studenten ziemlich irritierend sein. Sämtliche Bausteine, die hier innerhalb von zwölf Takten zusammengefügt erscheinen, sind ihm womöglich bereits aus Partimento-Unterricht bekannt. Statt genial erfundenen Melodien oder ungeahnten Harmoniefolgen trifft er auf ein Kompendium kontrapunktischer Satzmodelle, allgemeinverfügbare Bassfortschreitungen mit normierter Bezifferung und Stimmführung, die zunächst die Frage aufwerfen mögen, was das Ganze denn eigentlich von einem didaktisch konzipierten, eigens realisierten Partimento unterscheidet.
Den Grund allein darin zu sehen, dass Corelli eben das Vorbild überhaupt für die italienische Kompositionslehre des 18. Jahrhunderts war – und somit die vermeintlich allgemeinverfügbaren Modelle erst anschließend zu solchen wurden –, wäre zu wenig. Ein fruchtbarerer Weg, den Kompositionen Corellis analytisch gerecht zu werden, führt über die etymologische Bedeutung des Wortes „komponieren“. Denn komponieren heißt nicht erfinden, sondern im eigentlichen Wortsinn (lat. componere) ordnen, vergleichen, zusammensetzen!
Um genauer zu verstehen, was Corelli hier eigentlich „komponiert“ hat, müssen wir uns also unter diesem Blickwinkel der Komposition annähern.
1 zit. n. Peter Allsop, Arcangelo Corelli und seine Zeit, hrsg. von Birgit Schmidt, Laaber 2009, S. 136
