3-5 Satz

Den meisten Menschen ist das nachfolgend beschriebene Satzmodel als „Pachelbel-Bass“ bekannt, es kursieren aber verschiedene alternative Bezeichnungen. Ob „Romanesca“, „Folia“ „Dur-Moll-Parallelismus“, „Quart-Sekund-Gegenschritt“, „3-5-Satz“ oder eben „Pachelbel“ genannt, jeder der Begriffe hat seine Nachteile; doch letzterer ist mit Sicherheit der schlechteste. Denn wie wir gleich sehen werden, entspringt das Modell einer ganz elementaren Notwendigkeit, weshalb es eines der ältesten Satzmodelle überhaupt darstellt und bis in die heutige Zeit nie an Popularität verloren hat. Ob Josquin, Händel, Mozart, Bruckner oder die Liedermacher von heute: keiner kommt ohne aus. Dass dieses Modell also ausgerechnet einen einzelnen Komponisten zum Namen haben muss und manche auch noch deshalb glauben, er habe es erfunden, kann wohl nur als besonders unglücklich bezeichnet werden.

Nehmen wir zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen eine ganz einfache Tenor-Stimme im dorischen Modus, den Quintraum über der Finalis d schrittweise aufwärts und zurück abwärts durchschreitend.

Man stelle sich vor, man wollte eine zweite Stimme dazu erfinden. Das naheliegendste Verfahren ist wohl eines, das jeder kennt: eine Stimme zu ergänzen, die in Sexten oder Terzen parallel läuft, dazu sind sogar die meisten Laien auf dem Volksfest in der Lage. Natürlich kam man auf diese Idee auch schon vor 500 Jahren, denn es handelt sich ja genau um das PIP-Prinzip (perfekt–imperfekt–perfekt), das wir aus der Renaissance kennen (s. Kapitel zur Kadenz). Die zweite Stimme müsste als Cantus über dem Tenor mit einer Oktave beginnen, in Sexten fortschreiten und zum Schluss kadenzierend wieder in eine Oktave münden.

In solchen einfachen Fällen hätte ein Musiker des 15. Jahrhunderts auch kein Papier verschwendet, wenn eine dritte Person hätte mit musizieren wollen. Denn Papier war teuer und die Musiker waren qualifiziert. Die folgende dritte Stimme ist fast genauso leicht zu realisieren wie die zweite.

Das Satzmodell, welches durch eine weitere mittels der verbleibenden Konsonanzen ebenfalls dem PIP-Prinzip folgenden Stimme entsteht, wird Fauxbourdon genannt. Zwischen Cantus und Contratenor entstehen dissonante Quarten, die aber toleriert werden, da sie Sekundärprodukt sind und nicht auf die Gerüststimme, den Tenor, bezogen. Aus eben diesem Grund findet man im 15. Jahrhundert auch Quinten zwischen den Ergänzungsstimmen (beispielsweise im Requiem von Johannes Ockeghem), die entstehen, wenn man die dritte Stimme über die zweite setzt. Übrigens gibt es diese Art von Quintparallelen zumindest indirekt (z. B. gebrochen in einer notierten Stimme, vgl. etwa Händels Allemande aus der Suite HWV347) auch noch in späterer Musik und in Marc-Antoine Charpentiers Traktat werden sie sogar als Möglichkeit erwähnt.