Zum Verhältnis von Stimmung und Harmonik

Harmonik entsteht durch Zusammenwirken von Tonhöhen, die in unserem Tonsystem bis in 20. Jahrhundert hinein einigermaßen konstant systematisiert wurden: Es existieren sieben Stammtöne und ferner die Möglichkeit, jeden dieser Töne chromatisch zu erhöhen bzw. zu erniedrigen.
Vermeintlich abstrahierbar sind diese Tonqualitäten (und damit auch die sich daraus bildenden Harmonien) vom zugrundeliegenden Stimmungssystem. Dies liegt wohl vor allem an unserer Neigung, vor allem die zwei möglichen »Extreme« absolut zu setzen. Entweder man argumentiert quasi naturwissenschaftlich auf dem Boden der sogenannten »reinen Stimmung«, bei der alle Intervalle aus den Frequenzverhältnissen der Obertonreihe resultieren. Man gelangt dann aber sehr schnell zu dem Problem, dass unser Notensystem gar nicht darauf abgestimmt ist: schon nur mit der Diatonik von C-Dur bräuchte man in reiner Stimmung zwei verschiedene Töne für d, unsere Notenschrift sieht dies aber nicht vor. Unser Notensystem und die entsprechenden Begrifflichkeiten sind pythagoreisch (kein Wunder, wenn man ihre Entstehungszeit berücksichtigt), das syntonische Komma geht aus der Notenschrift nicht hervor.
Argumentiert man hingegen auf Grundlage der heute omnipräsenten »gleichstufigen Stimmung«, dann fallen ebenfalls Notation und Klang auseinander. Ein notiertes (und auch satztechnisch intendiertes) his ist klanglich vom c nicht zu unterscheiden, obwohl die Notation gänzlich verschieden ist.

Wenn man hingegen die verschiedenen Stimmungssysteme mit ihren unterschiedlichsten Temperierungen zwischen diesen beiden Extremen historisch verortet, wird schnell klar, dass sich Satztechnik und Stimmung gegenseitig bedingen. Verschiedene Stimmungen führen zu unterschiedlicher Musik. Umgekehrt kommen die Qualitäten der jeweiligen Musik nur dann zur Geltung, wenn man sie mit dem entsprechenden Stimmungssystem realisiert. Nun könnte man zweierlei einwenden: Erstens sind in der Praxis die unbeabsichtigten Intonationsschwankungen zuweilen deutlich größer als die feinen Unterschiede der jeweiligen Temperierungssysteme. Zweitens versuchen Musiker immer möglichst rein zu intonieren, die irrationalen Frequenzverhältnisse der temperierten Intervalle lassen sich zudem gar nicht durch das Gehör bestimmen. Dem lässt sich entgegnen, dass bis ins späte 18. Jahrhundert fast immer mit Tasteninstrumenten zusammen musiziert wurde, nach deren Stimmung sich das gesamte Ensemble zu richten hatte.

Ich möchte nun die Relevanz des Stimmungssystems für die Satztechnik an einem ersten Beispiel demonstrieren, und zwar an der verminderten Quarte.